Urteil OLG Stuttgart vom 29.02.2012 – 20 U 3 / 11
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat auf eine Anfechtungsklage der Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e.V. (VzfK) die Entlastung des Porsche-Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/ 2009 für nichtig erklärt.
Dazu heißt es in der Presseerklärung des OLG Stuttgart, die auch über die Homepage des Gerichts bezogen werden kann:
Der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute unter Vorsitz des Präsidenten des Oberlandesgerichts Eberhard Stilz auf die Berufung einer Aktionärin der Porsche Automobil Holding SE hin den Beschluss der Hauptversammlung der Gesellschaft vom 29.01.2010 über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/2009 für nichtig erklärt.
Die Klägerin hatte die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses auf eine Vielzahl unterschiedlicher Gründe gestützt. Sie behauptete unter anderem Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Aufbau der Beteiligung der Gesellschaft an der Volkswagen AG und den dazu abgeschlossenen Optionsgeschäften auf VW-Aktien sowie bei der Vergütung und Abfindung von Vorstandsmitgliedern. Außerdem rügte sie, dass Fragen der Aktionäre in der Hauptversammlung am 29.01.2010 unzureichend beantwortet worden seien. Das Landgericht Stuttgart hatte die Klage am 17.05.2011 abgewiesen.
Die Entscheidung des Landgerichts ist zwar aus der Sicht des Senats nicht zu beanstanden, wenn man den Sachverhalt zugrunde legt, der in der ersten Instanz zu beurteilen war. Angesichts im Berufungsverfahren ergänzend vorgetragenen Sachverhalts, der zwischen den Parteien unstreitig ist, war jetzt aber anders zu entscheiden.
Ausgangspunkt der Entscheidung des Senats sind unmittelbar weder der Aufbau der Beteiligung an der Volkswagen AG noch die Vergütung des Vorstands, sondern Äußerungen des Mitglieds des Aufsichtsrats der Porsche Automobil Holding SE, Hon-Prof. Dr. techn. h.c. Ferdinand K. Piëch, am 11.05.2009 in einem Gespräch mit Journalisten am Rande einer Veranstaltung auf Sardinien. Dort hatte er nach dem im Berufungsverfahren zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalt unter anderem sinngemäß erklärt, er habe sich keine Klarheit über die Risiken der Optionsgeschäfte von Porsche verschaffen können, und er wisse nicht, wie hoch die Risiken seien.
Nimmt man diese Äußerungen beim Wort, hatte Dr. Piëch damit eine schwerwiegende Pflichtverletzung belegt, denn zu seinen Kardinalpflichten als Mitglied des Aufsichtsrats gehörte die Erfassung und Beurteilung bedeutsamer Geschäfte der Porsche Automobil Holding SE. Daraus folgte im Entlastungszeitraum die Pflicht zur eigenständigen Abschätzung der Risiken der Optionsgeschäfte. Treffen Dr. Piëchs Äußerungen inhaltlich zu, hätte er den Geschäften nicht zustimmen dürfen, sondern sich um weitere Informationen bemühen und – wenn ihm diese ebenfalls keine Risikoabschätzung ermöglichten – gegen die Optionsgeschäfte einschreiten müssen.
Der Senat verkennt nicht, dass die Äußerungen im zeitlichen Kontext des Frühjahrs 2009 nicht nur als Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers von Dr. Piëch, sondern auch als „kritisch-pointierte Meinungsäußerung“ im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts interpretiert werden können. Versteht man die Äußerungen in diesem Sinne, kommt ihnen aus der Sicht eines verständigen Empfängers die Bedeutung zu, die Risiken der Optionsgeschäfte seien – wenn sie noch nicht einmal von einem erfahrenen Aufsichtsratsmitglied abgeschätzt werden können – für niemanden abschätzbar, mithin unkalkulierbar. Einer solchen Aussage wurde angesichts ihrer Herkunft und der umfassenden Medienberichterstattung erwartungsgemäß in der Öffentlichkeit eine andere Bedeutung beigemessen als den Spekulationen, die von Dritten zuvor über Risiken der Optionsgeschäfte veröffentlicht worden waren. Dahinstehen kann, ob der Porsche Automobil Holding SE dadurch ein konkreter materieller Schaden entstanden ist; jedenfalls wurde ihre Kreditwürdigkeit gefährdet. Auf ein Recht zur öffentlichen Meinungsäußerung kann sich Dr. Piëch demgegenüber nicht berufen.
Zwar hindert auch eine schwerwiegende Pflichtverletzung die Entlastungserteilung durch die Hauptversammlung nur, wenn sie zudem eindeutig ist. Die alternative Interpretationsfähigkeit der Äußerungen Dr. Piëchs steht in diesem Fall der Feststellung einer eindeutigen Pflichtverletzung aber nicht entgegen. Wenn es sich um das Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers handelte, ist ebenso eine schwerwiegende Pflichtverletzung festzustellen wie für den Fall einer solchermaßen „pointierten“ öffentlichen Meinungsäußerung im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts.
Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang die Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses nur deshalb verneint, weil die konkreten Äußerungen Dr. Piëchs einem verständigen Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung nicht erkennbar gewesen seien. Dies ist auf der Grundlage des vom Landgericht zu beurteilenden Sachverhalts nicht zu beanstanden. Im Berufungsverfahren wurde der Parteivortrag indes dahin ergänzt, dass die hier interessierenden Äußerungen den Hauptversammlungsteilnehmern durch Redebeiträge von Aktionären, in denen sie – teils unter ausdrücklichem Verweis auf Presseartikel – zitiert wurden, vor Augen geführt worden waren. Dies genügt zur Begründung der nötigen Erkennbarkeit jedenfalls dann, wenn es sich um tatsächliche Umstände, die aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsaktionärs nicht umstritten sind, und nicht lediglich um Spekulationen oder Mutmaßungen ins Blaue hinein handelt.
Obwohl danach nur in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds eine die Entlastungserteilung hindernde Pflichtverletzung festzustellen ist, war der alle Aufsichtsratsmitglieder entlastende Beschluss insgesamt für nichtig zu erklären. Nicht auszuschließen ist, dass im Fall einer – in der Hauptversammlung ausdrücklich beantragten, aber nicht erfolgten – Einzelabstimmung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder anders abgestimmt worden wäre.
Das Oberlandesgericht hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen. Dagegen ist die Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet.
Aktenzeichen: 20 U 3/11 – Urteil vom 29.02.2012
Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.05.2011 (31 O 30/10 KfH)
Der Bundesgerichtshof hat die Nichtzulassungsbeschwerde der Porsche Automobil Holding SE mit Beschluss vom 6. November 2012 unter dem Aktenzeichen II ZR 111 / 12 zurückgewiesen. Damit hat die Entscheidung des OLG Stuttgart Rechtskraft erlangt.
Hauptversammlung am 30. November 2010
Die Verbraucherzentrale für Kapitalanleger hat in verschiedenen Verfahren die Transaktionsstruktur auf den Prüfstand gestellt, mit der die Volkswagen AG übernommen werden sollte. Wir hinterfragen auch die Zahlungen, die an die ehemaligen Mitglieder des Vorstands geleistet wurden. Die Integration wesentlicher Bestandteile der Porsche Automobil Holding SE in die Volkswagen AG wirft die Frage nach dem heutigen inneren Unternehmenswert auf.
Auf der nächsten Hauptversammlung werden diese Themenkomplexe zum Gegenstand der Aussprache machen. Gerne sind wir dazu bereit, auch weitere Aktionäre gegen Weisung zu vertreten. Bitte nehmen Sie bei weiteren Rückfragen mit uns Kontakt auf.
Hauptversammlung am 30. Januar 2009 – Anfechtungsklage
Das Oberlandesgericht Stuttgart (Aktenzeichen 20 U 2 / 10) hat mit Urteil vom 17. November 2010 -wie das Landgericht- unsere Anfechtungsklage gegen die Entlastungsbeschlüsse der Hauptverammlung am 30. Januar 2009 zurückgewiesen. Bitte entnehmen Sie weitere Einzelheiten der Presseerklärung des Gerichts.
Weil das Oberlandesgericht die Revision nicht zugelassen hat, werden wir eine Nichzulassungsbeschwerde einlegen.