Unternehmensstrafrecht (VersanG)

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (Verbandssanktionengesetz – VerSanG) vorgelegt und um fachliche Stellungnahmen gebeten. In diesem Gesetzentwurf kommt es auch auf interne Untersuchungen (internal investigations) an. Eine Sonderseite berichtet über ausgewählte Einzelfälle.

Die Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e.V. (VzfK) hat die folgende Stellungnahme abgegeben, die über die Homepage des BMJV bezogen werden kann. (Fragen und Antworten zum Gesetz)

Stellungnahme zum Referentenentwurf „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (Verbandssanktionengesetz – VerSanG)

Referat:           II A 4 / RB3

Aktenzeichen: 7063/13-23 293/2019

Sehr geehrter Herr Busch,

sehr geehrter Herr Dr. Jung,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 21. April 2020, in dem Sie uns eine Gelegenheit für eine Stellungnahme zum oben genannten Entwurf geben. Dabei beschränken wir uns auf die folgenden Punkte, die uns als besonders wichtig erscheinen.

  1. Regelungsbedarf
  2. Deutscher Corporate Governance Kodex
  3. Zugang zu Beweismitteln
  4. Interne Untersuchungen
  5. Sanktionssystem
  • a. Schadensersatz
  • b. Haftung des Managements / Claw Backs
  • c. Whistleblowing und Kronzeugenregelung
  • d. Gewinnabschöpfung

Zu den einzelnen Punkten:

  1. Regelungsbedarf

Viele Indikatoren bestätigen den Regelungsbedarf für ein strafrechtliches Regelungskonzept gegenüber juristischen Personen. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Rechtsverletzungen und Schäden mit volkswirtschaftlicher Relevanz, die durch Großunternehmen verursacht wurden. Ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, sei hier nur die Skandale der Deutschen Bank, Siemens, Volkswagen und Wirecard erinnert. Auch die Börsengänge bei der Deutschen Telekom AG sowie die Skandale am Neuen Markt wirken in der Wahrnehmung vieler Anleger noch heute fort.

Daher überrascht es nicht, dass das Institut für Demoskopie Allensbach seit Jahren in der Vertrauensfrage für „große Wirtschaftsunternehmen“ sehr schlechte Werte misst:

Im Land des „Exportweltmeisters“ haben weitere Kreise der Bevölkerung kein Vertrauen in wesentliche Leistungsträger. Daher darf man sich auch nicht über die geringe Aktienquote wundern, die seit Jahren moniert wird. Das wirkt sich auch auf die Vermögensentwicklung aus, wie Erhebungen der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank zeigen.

Daher trifft der nun vorgelegte Referentenentwurf ein wichtiges Thema. Schließlich geht es hier auch darum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Legitimität unserer Wirtschaftsordnung zu stärken. Daher erscheint es als sachgerecht, die Anwendbarkeit des Gesetzes auf Verbände mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu beschränken.

2. Deutscher Corporate Governance Kodex

Als Reaktion auf die Fehlentwicklungen bei börsennotierten Unternehmen hat die Bundesregierung im Jahr 2001 eine Regierungskommission eingesetzt, um den „Deutscher Corporate Governance Kodex“ (DCGK)  für eine „gute Unternehmensführung“ zu entwickeln. Heute stellt der DCGK einen Rahmen für einen Austausch der beteiligten Verkehrskreise über die Art und Weise da, wie große Wirtschaftsunternehmen verantwortlich agieren können.

Es spricht einiges dafür, in diesem Gesetzgebungsverfahren Themen aufzugreifen, die die Fachwelt auch im Hinblick auf eine bessere Unternehmensführung diskutiert. Dazu seien hier nur beispielhaft auf die Diskussionen zur Vergütung des Managements und Clawbacks verwiesen. In diese Diskussion könnte man aus diesem Gesetzgebungsverfahren auch die Frage einbringen, wie sich eine deutlich verbesserte Unternehmensführung im Rahmen der §§ 15 ff. VerSanG zu einer Minderung der Verbandssanktionen kommen kann.

3. Zugang zu Beweismitteln

Jede Rechtsverfolgung beginnt mit dem Zugang zu Beweismitteln. In der Vergangenheit ging es in vielen großen Schadensfällen immer wieder um die Frage, ob Beweismittel vernichtet wurden oder die Ermittlungsbehörden bzw. Rechtsanwälte von möglichen Anspruchsinhabern Zugang zu allen relevanten Beweismitteln erhalten haben.

Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen zum Rechtsstaatsprinzip sowie Justizgewährleistungsanspruch lassen es nicht zu, dass einzelne Verfahrensbeteiligte die Reichweite ihrer gerichtlichen Überprüfung durch die Informationen regeln, die sie zur Verfügung stellen bzw. zurückhalten. Daher spricht einiges dafür, dass man sich im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens auch darüber Gedanken macht, wie die Staatsanwaltschaften schnell Zugang zu allen relevanten Tatsachen erhalten können. Routinemäßig sollten bei der Beschlagnahme etwaige Datenlöschungen überprüft werden. Sind die übergebenen bzw. beschlagnahmten Daten ersichtlich nicht vollständig, spricht das gegen eine Strafminderung.

4. Interne Untersuchungen

Die Skandale bei großen Unternehmen wie der Siemens AG und der Volkswagen AG haben zwei Problemfelder gezeigt, die auch hier noch weiter thematisiert werden sollten:

Für dieses Gesetzgebungsverfahren bietet es sich an, die hier gemachten Erfahrungen umfassend auszuwerten. Die rechtliche Aufarbeitung muss sich im Ergebnis daran messen lassen, ob sie den Eigeninteressen der juristischen Person und ihren Mitarbeitern, Kunden, Aktionären und gegebenenfalls Anspruchsinhabern entspricht. Die hier zu beachtenden, bereits oben genannten verfassungsrechtlichen Gewährleistungen lassen es jedenfalls nicht zu, dass eine juristische Person ihren strukturellen Informationsvorsprung dazu nutzt, um eigene rechtliche Kontrolle zu regulieren. Falls es dazu kommt, muss das strafschärfend wirken. Außerdem dürfen die Beraterrechnungen für die internen Untersuchungen jedenfalls nicht über den zu erwartenden Zahlungen für Schadensersatz bzw. Strafen liegen.

5. Sanktionssystem

Das Sanktionssystem in den §§ 15 ff. VerSanG entspricht den Besonderheiten von Verbänden. Weil eine Haftstrafe ausscheidet, liegt der Schwerpunkt bei den wirtschaftlichen Folgen. Bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion in § 15 VerSanG und der Minderungen in § 17 VerSanG ließen sich aber die bereits jetzt genannten relevanten Belange noch weiter ausbauen. Dazu seien hier nur vier Punkte beispielhaft genannt:

a. Schadensersatz

§ 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG stellt bei der Strafbemessung auf eine mögliche Wiedergutmachung des Schadens ab. Diesen Gedanken könnte man noch weiter entwickeln. In einer möglichst frühen Phase sollte auch den Rechtsanwälten möglicher Anspruchsinhaber der Zugang zu den erforderlichen Beweismitteln gewährt werden. Falls der Verband in einem nennenswerten Umfang Schadensersatz leistet, spricht das auch für eine Milderung wie in § 17 VerSanG.

Dieses Gesetzgebungsverfahren bietet sich daher auch dazu an, den kollektiven Rechtsschutz um eine möglicherweise auch außergerichtliche Variante weiterzuentwickeln.

b. Haftung des Managements / Claw Backs

Der Gesetzentwurf reflektiert noch nicht in der gebotenen Deutlichkeit, dass Verbände durch natürliche Personen handeln. Das könnten eine Bemessung möglicher Verbandssanktionen nach § 15 VerSanG sowie eine Milderung nach § 17 VerSanG angemessen wie folgt berücksichtigen:

  • Haftung der handelnden Personen bzw. ihre D & O Versicherungen
  • Durchführung von Clawbacks: Ändern sich die Berechnungsgrundlagen für erfolgsabhängige Vergütungen, sind die geleisteten Zahlungen zurückzufordern. Außerdem bietet sich eine zeitlich gestreckte Auszahlung an, die sich auf die Dauer etwaiger Verjährungsansprüche erstreckt.
  • Die Zahlungen für Gehälter, Bonuszahlungen und Dividenden müssen in einem vernünftigen Verhältnis vor allem zum Ertrag stehen. Bei der Deutsche Bank AG lagen die Bonuszahlungen jahrelang deutlich über den Dividenden.
  • Soweit bereits die Anstellungsverträge mögliche Ansatzpunkte für Rückzahlungen enthalten, lässt sich das ebenfalls berücksichtigen.

c. Whistleblowing und Kronzeugenregelung

Die Regelungen zum Whistleblowing und zur Kronzeugenregelung passen auch in dieses Gesetzgebungsvorhaben. Schließlich leben die Ermittlungsbehörden auch davon, dass sie von Mitarbeitern umfassend informiert bzw. auf Beweismittel hingewiesen werden. Das mag aber mit erheblichen persönlichen Risiken verbunden sein. Führen Hinweise zu Haftungsrisiken beim Informanten, bietet sich zu seiner Entlastung auch eine Überleitung seiner Strafe auf die Gesellschaft an.

d. Gewinnabschöpfung

Unrecht darf sich nicht rechnen und zu wirtschaftlichen Vorteilen gegenüber Mitbewerbern führen. Daher spricht alles dafür, dass es ohne eine umfassende Gewinnabschöpfung – gegebenenfalls mit Zinsen – nicht zu einem Verfahrensabschluss kommen kann.

Bei Interesse lassen sich diese und weitere Punkte vertiefend darstellen.

Mit freundlichen Grüßen

Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e.V. – VzfK