Musterfeststellungsklage – Kritik

Kritikpunkte an der Musterfeststellungsklage

Die im Gesetzgebungsverfahren ausgesprochene Kritk an der Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) hat der Bundestag nur teilweise berücksichtigt. Unsere Kritikpunkte zum Gesetzesentwurf können Sie hier herunterladen.

1.      Gesamtkonzept

Bereits das Gesamtkonzept für den Gesetzesentwurf hat mehrere Mängel:

  • Die Feststellungsklage spielt in der anwaltlichen Praxis keine Rolle, weil sie nicht zu einem Zahlungstitel führt. Eine Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit nach § 148 ZPO führt auch zu einer Musterentscheidung.
  • Eine Feststellungsklage entlastet auch nicht die Justiz. Sie muss die nachfolgenden Zahlungsklagen einzeln abarbeiten.
  • Der Anspruchsinhaber erhält keine Unterstützung bei einer nachfolgenden Leistungsklage. Er trägt dann auch das volle Kostenrisiko. Damit beseitigt die Musterfeststellungsklage nicht das „rationale Desinteresse“ der Anspruchsinhaber.
  • Die wesentlichen Unterschiede in der rechtstechnischen Handhabung zwischen Massenschäden und Streuschäden (Bagatellbereich) werden nicht berücksichtigt.
  • Innovative zur Konzepte wie zur Gewinnabschöpfung, für Whistleblower oder für einen vereinfachten Zugriff auf Beweismittel fehlen vollständig.
  • Man hätte – wie im Entschließungsantrag von Bündnis90 / Die Grünen vom 12. Juni 2018 BT – Drucksache 19/2743vorgeschlagen – die Verjährung in § 197 BGB auf dreißig Jahre verlängern können, wenn der Kaufgegenstand von der öffentlich-rechtlichen Zulassung wie z.B. der Typengenehmigung für Kraftfahrzeuge abweicht.
  • Kein Vortrag zur Schadenshöhe – wie soll es dann zu einem individualisierbaren Vergleich kommen?
  • Keine Änderungen im materiellen Recht wie z.B. bei der Beweislastverteilung oder Verjährung.
  • Die „qualifizierten Einrichtungen“ – im Gesetzesentwurf einheitlich „Verbraucherschutzverbände“ genannt – sind so nicht arbeitsfähig: Rechtsstatus und Finanzierung bleiben offen.
  • Der „Verbraucherschutzverbände“ verfügen nicht über die Erfahrungen und Kenntnisse von hinreichend spezialisierten Rechtsanwälten.

 

2.      Keine Justizentlastung / weiterer Handlungsbedarf

Ohne Justizentlastung kein effektiver Rechtsschutz!

Die Musterfeststellungsklage ist nur ein erster Schritt in den kollektiven Rechtsschutz. Schon jetzt zeichnet sich der folgende weitere Handlungsbedarf ab:

  • Ohne eine Gruppenzahlungsklage gibt es keine Justizentlastung und damit auch keinen effektiven kollektiven Rechtsschutz.
  • Die Musterfeststellungsklage muss novelliert werden, damit sie in der Praxis funktioniert.
  • Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) tritt nach § 28 KapMuG am 1. November 2020 außer Kraft.
  • Die sich abzeichnenden Empfehlungen der EU für einen „New Deal for Consumers“ (COM(2018)185) muss der Bundestag schon bald umsetzen.

3.      Wer wird Kläger?

BT Drucksache 19/2507, Seite 15: „Das Verfahren soll ausschließlich zwischen dem klagenden Verbraucherschutzverband und der beklagten Partei geführt werden.“

  • Welchen Status sollen die Verbände haben?
    • Zulassung nach § 10 Rechtsdienstleistungsgesetz?
    • Klagen für Anmelder, die nicht an dem Verfahren beteiligt werden?
      • Rechtliches Gehör
      • Ermittlung und Geltendmachung des relevanten Sachverhalts?
      • Nachfragen zum Sachverhalt?
    • Das ist ein Status wie aus § 158 FamFG: Bevormundung von unbeschränkt geschäftsfähigen Personen / Prozessstandschaft nach § 1629 Abs. 3 BGB
  • Die Rechtsbeziehungen zwischen den zehn Verbrauchern bzw. 50 Anmeldern bleibt unklar.
    • Werden sie zum Beispiel zur Informationsbeschaffung verpflichtet?
    • Müssen die Schriftsätze mit ihnen abgestimmt bzw. genehmigt werden?

4. Streitgegenstand

BT Drucksache 19/2507, Seite 15: „Die Musterfeststellungsklage soll anerkannten Verbraucherschutzverbänden ermöglichen, zugunsten von jeweils mindestens 50 betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern das Vorliegen oder Nichtvorliegen zentraler Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen feststellen und Rechtsfragen klären zu lassen. Das Verfahren soll ausschließlich zwischen dem klagenden Verbraucherschutzverband und der beklagten Partei geführt werden. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen jedoch die Möglichkeit erhalten, ihre Ansprüche gegen die beklagte Partei mit verjährungshemmender Wirkung zu einem noch einzurichtenden Klageregister anzumelden. Das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil soll sodann grundsätzlich Bindungswirkung für eine nachfolgende Klage zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem beklagten Unternehmen entfalten.“

a.       Verfahrensführung

Das Verfahren wird ausschließlich von den Verbraucherschutzverbänden geführt, die keine wie auch immer geartete Beziehung zum relevanten Sachverhalt haben.

BT Drucksache 19/2507, Seite 16: Die Musterfeststellungsklage soll der zügigen Klärung von Tatsachen- und Rechtsfragen dienen und hierdurch zu einem effektiven Mittel der Rechtsverfolgung werden. Die Ausrichtung auf bestimmte Feststellungsziele ermöglicht die hierfür erforderliche Konzentration auf die wesentlichen Streitfragen. Individuelle Streitfragen, etwa konkrete Einwendungen gegen die einer Musterfeststellungsklage zugrunde liegenden Individualansprüche, die für die Feststellungsziele nicht von Bedeutung sind, sind in der Musterfeststellungsklage nicht zu klären. Dementsprechend werden die angemeldeten Verbraucher nicht unmittelbar Prozessbeteiligte im Musterfeststellungsverfahren und können selbst auch keine Prozesshandlungen vornehmen. Die angemeldeten Verbraucher als Zeugen zu berufen, bleibt hingegen möglich.

  • Es bleibt auch unklar, wie sie die erforderlichen Informationen für ihren Sach- und Rechtsvortrag erhalten sollen. Sie müssten eigentlich an dieser Stelle wie ein Rechtsanwalt den relevanten Sachverhalt über den Mandanten ermitteln.
  • Mangels Angaben zum individuellen Schaden entsteht auch keine Grundlage für wie auch immer geartete Vergleichsverhandlungen über individuelle Ansprüche.

b.      Vergleich 

BT Drucksache 19/2507, Seite 15: „Zugleich stärkt sie die außergerichtliche Streitschlichtung, indem sie durch die Entscheidung zentraler Tatsachen- und Rechtsfragen die Grundlagen für eine einvernehmliche Lösung der Parteien schafft.“

§ 611 ZPO-E regelt einen möglichen Vergleich.

  • Streitgegenstand sind Feststellungen zu Sach- und Rechtsfragen, nicht aber die Schadenshöhe. Wie soll ein Gericht außerhalb des Streitgegenstandes einen Vergleichsvorschlag zur Schadenshöhe machen?
  • Wie soll sich es zu einem konkreten Vergleichsvorschlag kommen, wenn der individuelle Schaden gar nicht verfahrensgegenständlich ist?
    • Keine Einschätzung durch gegnerische Anwälte möglich;
    • Gericht kann keine Empfehlung aussprechen;
  • Auch ein abstrakter Schaden lässt sich nicht berechnen, wenn nur zum Schadensgrund vorgetragen wird.
  • Auch § 611 ZPO-E klärt nicht, wie der relevante Sachverhalt zur individuellen Schadenshöhe
    • dem Beklagten zur Prüfung und
    • dem Gericht zur Genehmigung des Vergleichs nach § 611 Abs. 3 ZPO-E

zur Kenntnis gebracht wird.

5.      Anwaltliche „Waffengleichheit“ / RVG

Eigentlich müsste der kollektive Rechtsschutz asymmetrische Prozesslagen ausgleichen. Das Gebot der Waffengleichheit gilt auch im Kostenrecht.

a.      Decklelung der Kosten für die Beklagtenseite

Die Rechtsanwälte der Verursacher erhalten mehr Honorar, als zur effektiven Rechtsverfolgung erforderlich ist. Z.B. falls eine Kanzlei die Deutsche Telekom AG vertritt, bekommt sie 17.000 mal z.B EUR 2.000 (oft nur Zuteilung von wenigen Aktien) für zwei Instanzen = 34.000.000 EUR

Vorschlag:      Solche Beträge sind für eine effektive Rechtsverfolgung nicht erforderlich = Kürzung!

 

b.      Keine Kostenregelung für Kläger / Beklagte im RVG

Der erste – und einzige Rechtsakt für die Anspruchsinhaber – ist hier die Anmeldung von Ansprüchen. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a RVG soll das als Vorbereitungshandlung nicht weiter abgerechnet werden.

  • Wenn es – wie von der Bundesregierung suggeriert – nicht zu einem Folgeverfahren kommt: Wie wird das bezahlt?
  • Erfassung wie KapMuG geht nicht, weil es dort immer erst einmal Leistungsklagen gibt, die zu verbinden sind.
  • Die Anmeldung erfordert eine inhaltliche Befassung, die so im Normalfall nicht abgerechnet wird. § 204a Abs. 1 Nr. 1a BGB: Musterfeststellungsklage / Lebenssachverhalt ermitteln und darstellen wird so nicht abgerechnet.

Wie soll die Tätigkeit der „Verbraucherschutzverbände“ und ihrer Anwälte abgerechnet werden?

  • Auch bei Feststellungsklagen kommt es auf den Streitwert der Hauptforderung an, BLAH ZPO 76. Auflage 2018, Anh. § 3 Stichwort „Feststellungsklage“
  • § 23b RVG regelt den Gegenstandswert im Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz: Gegenstandswert im Ausgangsverfahren, das es hier nicht gibt.

Waffengleichheit: unbeschränktes Budget beim Beklagten, und beim Kläger?

  • Während die Beklagten im Normal hochspezialisierte Rechtsanwälte beauftragen, regelt das RVG schon nicht, wie die Erstellung der Musterklage bezahlt werden soll.
  • Das ist eine weitere, nicht akzeptable Privilegierung des Verursachers, der im Falle des Unterliegens diese Kosten der Rechtsverfolgung nicht zu erstatten hat.
  • Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wer die Kosten der qualifizierten Einrichtungen tragen soll. Für den Bundesverband Verbraucherzentralen soll es wohl eine Lösung über den Bundeshaushalt geben. Der Gleichbehandlungsgrundsatz führt dazu, dass auch die anderen zu finanzieren sind, und zwar durch den Steuerzahler.
  • In der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG wird das KapMuG-Verfahren in den Ziffern 1003, 3338 geregelt.
  • Für die Durchführung der Musterfeststellungsklage durch eine „Verbrauchervereinigung“ bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen, die aber am Streitwert der Hauptforderung festmachen.

Vorschlag:               Angemessene Finanzierung über Streitwertregelung in der ZPO und Gebührenanspruch im RVG regeln.

6.       „qualifzierte Einrichtungen“ / Verbandsklage

a.       Status / Terminologie / Nachweis

§ 606 ZPO-E spricht von einer „qualifizierten Einrichtungen“, siehe auch Seiten 15, 22 f. des Gesetzentwurfs BT Drucksache 19/2507;

  • Sonst redet der Gesetzentwurf BT Drucksache 19/2507 von „Verbraucherschutzverbänden“: Seiten 1, 3, 14, 19, obwohl dieser Begriff gesetzlich nicht definiert wird.
  • Nachweis der Voraussetzungen
    • Bei den Verfahren nach dem UKlaG können sich die Kläger wohl auf den Bestand ihrer Eintragung nach Prüfung durch das Bundesamt für Justiz verlassen.
    • Bei der Musterfeststellungsklage werden die weiteren Anforderungen an den klagenden Verein aus § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO-E sowie den quantitativen Anforderungen aus § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 Ziff. 2 ZPO-E (zehn Verbraucher) sowie § 606 Abs. 3 Ziff. 3 ZPO-E (fünfzig Verbraucher) zur Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage.

Damit trägt der – sonst weitgehend entmündigte / betreute Verbraucher – ein Risiko, das in keinem Zusammenhang mit seiner Forderung steht und das er nicht einschätzen kann. Zur Reduzierung des Prozessrisikos bietet sich auch insoweit eine Prüfung und Eintragung in ein Register durch das Bundesamt für Justiz an.

Vorschlag:      Eintragung in ein Register beim Justizverwaltungsamt mit Bestandsschutz / Gutglaubenswirkungen

Völlig offen ist auch die Frage, was passiert, wenn die Voraussetzungen nach Beauftragung bzw. Klageerhebung entfallen. Damit die Klageberechtigung nicht entfällt, ist ein entsprechender Vertrauensschutz zu normieren.

b.      Fachliche und organisatorische Eignung

In der Gesetzesbegründung BT Drucksache 19/2507 heißt es auf Seite 14: „Auch die Einziehungsklage nach § 79 Absatz 2 Nummer 3 ZPO, mit der insbesondere Verbraucherzentralen die gerichtliche Einziehung von Forderungen von Verbrauchern betreiben können, dient nur beschränkt der effektiven Rechtsdurchsetzung. Sie stellt zwar ein taugliches Mittel dar, Verbraucherinteressen prozessual gebündelt durchzusetzen, ohne dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sich unmittelbar in ein Gerichtsverfahren einbringen müssen. Sie verursacht indes bei den Verbraucherschutzverbänden angesichts der Koordination zahlreicher individueller Ansprüche erheblichen Aufwand, der diese Verbände in Verfahren mit Breitenwirkung an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit führt.“

  • Warum beauftragt der Gesetzgeber die Verbraucherschutzverbände nun damit, noch komplexere Verfahren durchzuführen?
  • Bei der Verschärfung einzelner Voraussetzungen scheint es letztlich nur um einen Ausschluss der Deutsche Umwelthilfe e.V. zu gehen.
  • Angesichts der Weite möglicher Ansprüche und vilefältigkeit der Lebenssachverhalte hätten die Schwellen für eine Zulassung als „Verbaucherschutzvereinigung“ noch abgesenkt werden müssen, damit auch hinreichend qualifzierte Neugründungen einen „Marktzugang“ erhalten können.
  • An die Stelle eines „Windhundrennens“ muss ein Auswahlermessen für das Gericht treten. Es muss hier auf qualitative und quantitative (Anzahl der vertretenen Anspruchsinhaber) Kriterien ankommen.

c.       Tätigkeit für Gewerbetreibende

Falls die „Verbraucherschutzverbände“ auch für Gewerbetreibende tätig werden sollen, müssen sie wahrscheinlich ihre Satzungen ändern. Die jetzt vorgesehene  Aussetzung hätte auch über $ 148 ZPO (Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit) erreicht werden können.

d.      Erfüllungsaufwand: Schaffung von faktischen Behörden

Die „qualifizierten Einrichtungen“ haben die Spielräume und Kompetenzen von „faktisch Beliehenen“. Es fehlen die Kosten für die Ausstattung des Bundesverbands Verbraucherzentralen, siehe Interview von Klaus Müller in der Ostseezeitung vom 09.05.2017.

  • Gesetzesbegründung: Keine Darstellung beim Erfüllungsaufwand für die Gründung solcher „Behörden“
  • Lassen sich die Verfahrenskosten auf den Verursacher übertragen?
  • Gleichbehandlungsgrundsatz?

e.       Haftung

Die „Verbraucherschutzverbände“ trifft ein doppeltes Haftungsrisiko:

  • Entscheidung über die Aufnahme eines Verfahrens
  • Was machen die zurückgewiesenen Anspruchsinhaber, wenn ein anderer seine Forderungen in einer anwaltlich vertretenen Klage durchsetzt?
  • Fehlerfreie Durchführung des Verfahrens

Vorschlag:      Eine Zulassung nach § 10 RDG eröffnet den Weg in eine Haftpflichtversicherung. Außerdem spricht nichts dafür, hier „Verbraucherschutzverbände“ mit den typischen Aufgaben und Tätigkeiten von Rechtsanwälten zu betrauen.

f.       Rechtsschutzdefizit

Kein Verband verfügt über die personellen, fachlichen und wirtschaftlichen Ressourcen, um dem hier bestehenden Bedarf zu entsprechen. Zudem stellt sich die Frage, ob es überhaupt für alle Rechtsgebiete und in allen Regionen die erforderlichen „Verbraucherschutzverbände“ gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass nur einige wenige Verfahren geführt werden können. Damit besteht von Anfang an ein Rechtsschutzdefizit.

7.      Gewerbetreibende

Zunächst gibt es keinen Grund, warum Gewerbetreibende nicht auch die Musterfeststellungsklage betreiben können. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Tätigkeiten von ihrem Satzungszweck abgedeckt sind. Die nun beschlossene Aussetzung der Verfahren von Gewerbetreibenden wiederholt im Kern nur § 148 ZPO: Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit.

8.      Verbraucherbegriff

Macht es Sinn, die Verbrauchereigenschaft in § 29c ZPO als einer Regelung für die Zuständigkeit zu klären? Das wirkt missverständlich. Ein § 29d ZPO wäre besser. Zudem gibt aber keinen Grund, warum im Prozessrecht ein anderer Verbraucherbegriff gelten soll als in § 13 BGB.

9.      Voraussetzungen einer Musterfeststellungsklage

§ 606 ZPO-E verlagert die Darlegungslast für mehrere Voraussetzungen in die Sphäre der Antragssteller, obwohl sie dafür keine Verantwortung tragen:

  • § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO-E Ziffer 1 bis 5 betreffen die Voraussetzungen, die der Verbraucherschutzverein für eine Klageberechtigung erfüllen muss. Zu den Punkten Nr. 3, 4 und 5 kann der Anspruchsinhaber keine Informationen erlangen.
  • § 606 Abs. 2 ZPO-E: Nachweis der Voraussetzungen, mindestens zehn Verbraucher
  • § 606 Abs. 3 ZPO-E: 10 „Antragsteller“ und 50 „Anmelder“
  • § 608 Abs. 2 Satz 2 ZPO-E: Aufnahme der Anmeldungen in das Klageregister ohne inhaltliche Prüfung;

Vorschlag:      Anmeldung zu einem Register beim Bundesamt für Justiz und Aufnahme in das Klageregister nur nach einer ersten Prüfung durch das Prozessgericht.

  • Das reduziert die Risiken für die Zulässigkeit der Klage.
  • Beklagter kann diese Voraussetzungen sonst nicht prüfen.

 

10.  Anmeldung von Forderungen im Klageregister

Der anwaltlich nicht vertretene Anspruchsinhaber wird an dieser Stelle schnell überfordert:

  • Kann ein bereits verjährter Anspruch angemeldet werden, wenn die Bekanntmachung erst nach Eintritt der Verjährung erfolgt?
  • Am 1. November 2018 tritt das Gesetz in Kraft, um im Hinblick auf Dieselgate, Updategate und Valuegate vor der Verjährung handeln zu können. Die Frist von zwei Monaten für eine Anmeldung dürfte erst Anfang 2019 enden. Warum hat man das Inkrafttreten nicht vorgezogen? Schließlich wurde das Gesetz schon am 14. Juni 2018 verabschiedet.
  • Bezeichnung des „Streitgegenstandes“, § 608 Abs. 2 Nr. 4 ZPO: Wie soll ein Laie den Lebenssachverhalt, den Rechtsrahmen und einen Betrag angeben, der so z.B. auch in einem Mahnbescheid zugrunde liegen könnte?
  • Wie soll ein Betrag der Forderung z.B. bei Updategate oder Valuegate ohne Wertgutachten angegeben werden? Zudem kann sich der Betrag bis zum Tag der Musterentscheidung bzw. Leistungsklage auch noch verändern!
  • Eine formale und materielle Prüfung der Anmeldungen durch z.B. das Prozessgericht erhöht die Rechtssicherheit, die Schwelle von 50 Anmeldungen zu überschreiten.
  • Die Fristen von
    • zwei Wochen für die Bekanntmachung,
    • zwei Monaten für eine Anmeldung und
    • eine Woche für die Terminierung einer mündlichen Verhandlung

    sind bedeutend zu kurz. Für Dieselgate Ansprüche gegen VW enden diese zwei Monate erst nach dem 31.12.2018.

11.  Erfüllungsaufwand

Die Ausführungen in der Gesetzesbegründung zum Erfüllungsaufwand sind nicht vollständig:

  • Die Beispielsrechnung geht von einem durchschnittlichen Streitwert in der Höhe von EUR 600. Bei den Dieselgate-Klagen dürfte es aber eher um mehr als EUR 10.000 gehen.
  • Es fehlen die Kosten für die Durchführung der Verfahren durch die „Verbraucherschutzverbände“. Dabei geht es um
    • die Prüfung eines Falls und Entscheidung über die Annahme,
    • eine etwaige Werbung für dieses Verfahren sowie
    • die fehlerfreie Verfahrensführung vor Gericht.

    Es bleibt offen, wie dieser Aufwand abgerechnet werden muss.

  • Bedauerlicherweise gibt es keine Gebührenregelung im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) für die Musterfeststellungsklage (MFK). Unabhängig davon dürften die Kosten bei komplexen Verfahren weit über den Ansätzen im RVG liegen.

  • In jedem Fall ist hier auch der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten: Wahrscheinlich wollen alle „qualifizierten Einrichtungen“ mit der erforderlichen Mitgliederzahl die gleichen Geldmittel wie der Bundesverband Verbraucherzentralen.

Die weitere Entwicklung stellt www.kollektiverRechtsschutz.de dar.