Daten zur Delistingstudie

ERTRAGSWERT UND BÖRSENWERT – Empirische Daten zur Preisfindung beim Delisting

Diese Zusammenfassung der im Verlag De Gruyter erschienen Studie (Amazon) kann in Deutsch und in Englisch heruntergeladen werden.

Die „FRoSTA-Entscheidung“ des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 2013 – II ZB 26/12 hat beim Delisting den gesellschaftsrechtlichen Rechtsschutz beseitigt. Es gibt jetzt nur noch eine finanzmarkttechnische Ausgestaltung in § 39 BörsG. Die praktische Bedeutung des Delisting im Vorfeld von abfindungspflichtigen Strukturmaßnahmen nimmt rapide zu. Seit dieser Entscheidung gab es bis zum 31. Dezember 2019 insgesamt 120 Delisting-Verfahren.

Bereits die Ankündigung eines Delisting führt zu Verkaufsdruck bei steigenden Umsätzen und fallenden Kursen. Das zeigt den strukturellen Gegensatz zwischen den beiden Aktionärsgruppen: Unternehmer und Anleger.

„FRoSTA“ verweist für den Vermögensschutz auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08. Es steht unter dem Vorbehalt, dass das Delisting im wirtschaftlichen Ergebnis nicht die wirtschaftliche Substanz des Vermögenswerts reduziert:             „Es kann dahingestellt bleiben, ob der verfassungsrechtlich zu gewährleistende Schutz des Aktieneigentums in seinem vermögensrechtlichen Element eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, wenn mit dem Widerruf regelmäßig ein Kursverfall einträte, der nach seinem Ausmaß die wirtschaftliche Substanz des Aktieneigentums träfe.“

Die Daten dieser Studie weisen diese Substanzreduzierung nach. Die Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e.V. hat in ihrer zweiten Studie zur quantitativen empirischen Justizforschung für insgesamt 111 Delisting-Verfahren die Auswirkungen eines Delisting-Verfahrens auf Kurs und Umsatz untersucht:

  • Im Zeitraum vom 8. Oktober 2013 (FRoSTA) bis zum 25. November 2015 wurden 57 Delisting-Verfahren (25 Regulierter Markt / 32 Freiverkehr) untersucht.
  • Dann wurden 54 Delisting-Verfahren (7 Regulierter Markt / 47 Freiverkehr) im Zeitraum vom 26. November 2015 (§ 39 BörsG verlangt jetzt ein Übernahmeangebot für den Regulierten Markt) bis zum 31. Dezember 2019 untersucht.
  • Für neun weitere Delisting-Verfahren fehlt die erforderliche Datengrundlage.
  • Bei 26 Emittenten kam es nach dem Delisting-Verfahren zu einer abfindungspflichtigen Strukturmaßnahme.

Das sind die wesentlichen Ergebnisse:

  1. Die Delisting-Ankündigung löst auch nach § 39 BörsG (neu) Verkaufsdruck aus.
    • Die Kurse fallen hinter die allgemeine Marktentwicklung (CDAX) zurück.
    • Die Umsätze nehmen deutlich zu.
    • Seit der Novellierung von § 39 BörsG (26. November 2015) kommt es zu höheren Umsätzen und geringeren Verlusten.
  2. Abfindungen in einer nachfolgenden Strukturmaßnahme liegen in 20 von 26 Fällen über dem Börsenpreis im Delisting: Ertragswert und Börsenwert sind nicht gleichwertig.
  3. § 39 BörsG erreicht das Regelungsziel nicht, weil er nur für den Regulierten Markt gilt. Das betrifft nur sieben von 54 Delisting-Verfahren (=13 %).

Empirische Erkenntnisse I:    Verkaufsdruck nach Ankündigung eines Delisting

  1. Die Kurse fallen hinter die allgemeine Marktentwicklung (CDAX) zurück.
  2. Die Umsätze nehmen deutlich zu.
  3. Nach der Novellierung von § 39 BörsG (26. November 2015) kommt es zu höheren Umsätzen und geringeren Verlusten.

Abbildung 1:        Vergleich Kursentwicklung unter Geltung der „FRoSTA-Entscheidung“ und der Neuregelung des § 39 BörsG

Abbildung 2:        Vergleich Handelsvolumenentwicklung unter Geltung der „FRoSTA-Entscheidung“ und der Neuregelung des § 39 BörsG

Diese Daten liegen den beiden Auswertungen zugrunde:

I. Kursdaten Phase I:     8. Oktober 2013 (FRoSTA) bis 25. November 2015 (§ 39 BörsG alt)

II. Kursdaten Phase II:          26. November 2015 (§ 39 BörsG neu) bis 31. Dezember 2019:

Empirische Erkenntnisse II:    Vergleich Delisting (Gegenleistung / Kurs) und Abfindung (Kompensation)

Die Gegenleistung im öffentlichen Übernahmeangebot liegt meist unter der Abfindung in einer nachfolgenden abfindungspflichtigen Strukturmaßnahme. Börsenwert und Ertragswert sind somit vor allem wegen unterschiedlichen Informationsgrundlagen nicht gleichwertig.

In 26 von insgesamt 111 ausgewerteten Delisting-Verfahren folgte dem Delisting eine abfindungspflichtige Strukturmaßnahme.

  • In 20 Fällen lag die Abfindung über dem Börsenkurs, nur in sechs Fällen darunter.
  • Im Durchschnitt lagen die von den Hauptversammlungen beschlossenen Barabfindungen um 75,28 % über der Gegenleistung nach § 39 BörsG.
  • Für die zum Zeitpunkt der Strukturmaßnahme noch im Streubesitz befindlichen Aktien – insgesamt 42 995 629 Stück – ergibt sich eine Differenz in Höhe von 24.137.708,76 Euro zwischen der gesetzlichen Gegenleistung laut Börsengesetz und der Barabfindung in der nachfolgenden abfindungspflichtigen Strukturmaßnahme.
  • Nach Abschluss der Spruchverfahren wird sich dieser Betrag noch erhöhen.

Abbildung 3:        Vergleich Abfindungsangebot Delisting zu Barabfindung in Strukturmaßnahme

3.         Rechtliche Einschätzung

  • Der Börsenwert entsteht auf einer anderen Informationsgrundlage als der Ertragswert. Die von Eugene F. Fama entwickelte Effizienzmarkthypothese („Nobelpreis“ 2013) erklärt den Zusammenhang zwischen Informationen und Preisbildung an den Finanzmärkten. Damit kommt es auf die Qualität der Informationen an.  
  • Das Aktieneigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) gewährleistet den Vermögenswert (innerer Wert) und effektiven Rechtsschutz. Das erfordert eine umfassende Unternehmensbewertung. Die Berichte nach §§ 293a, 293e AktG enthalten – auch für Finanzmarktteilnehmer – die für eine (De-)Investitionsentscheidung relevanten Informationen zum inneren Wert. Die Prüfung der Abfindung auf ihre Angemessenheit erfolgt in einem gerichtlichen Spruchverfahren.
  • Die empirischen Daten zur Kursentwicklung und zu den Umsätzen zeigen, dass bereits die Ankündigung eines Delisting den Vermögenswert reduziert. Damit wirkt sie wie eine nach § 1 SpruchG abfindungspflichtige Strukturmaßnahme.
  • Der kapitalmarktrechtliche Regelungsgehalt wirkt nicht individualschützend. Zudem gilt § 39 BörsG nur für den Regulierten Markt, nicht aber für den Freiverkehr. Daher lässt sich ein effektiver Rechtsschutz nur im Gesellschaftsrecht normieren. Für  das Delisting bietet sich eine Kodifizierung in § 119 Abs. 1 AktG und § 1 SpruchG an. Das entspricht dem Rechtsstand aus der „Macrotron-Entscheidung“, unter dem die Minderheitsaktionäre den inneren Wert realisieren konnten.
  • Es spricht einiges dafür, die Gewährleistungen zum Aktieneigentum über den Vermögensschutz und das Gebot effektiven Rechtsschutzes zu erweitern. Die Minderheitsaktionäre benötigen bewertungsrelevante Informationen zum inneren Wert. Außerdem führen die mit dem Delisting verbundenen Verluste dazu, dass die Beendigung einer bestehenden Handelbarkeit wie eine abfindungspflichtige Strukturmaßnahme behandelt werden muss.
  • Das Spruchverfahren zur Überprüfung des Ertragswerts sichert Spekulationen über den Zukunftserfolgswert im Vorfeld von abfindungspflichtigen Strukturmaßnahmen ab. Kommt es nur noch auf einen Börsenwert an, koppeln sich die Aktien von der allgemeinen Marktentwicklung ab, wenn sich ein Großaktionär den relevanten Beteiligungswerten wie 75 %, 90 % oder 95 % annähert. Das bedeutet ein mehrfaches Verlustrisiko:
    1. Der Börsenwert liegt schon jetzt fast immer unter der Abfindung, die eine Hauptversammlung beschließt.
    2. Im Spruchverfahren kommt es oft zu Nachbesserungen.
    3. Mit der Ankündigung einer abfindungspflichtigen Strukturmaßnahme dürften die Kurse wie hier bei einem Delisting spürbar zurückgehen.
    4. Schon im Vorfeld einer Ankündigung ist mit einer Abkoppelung der Aktie von der allgemeinen Marktentwicklung zu rechnen.

Weitere Einzelheiten enthält die Studie „Ertragswert und Börsenwert – Empirische Daten zur Preisfindung beim Delisting“, die am 24. August 2020 im Verlag de Gruyter erschienen ist. https://www.degruyter.com/view/product/510602?rskey=RAWbjN&result=1